Zeit zu hoffen, Zeit zu leben. by Prange Peter

Zeit zu hoffen, Zeit zu leben. by Prange Peter

Autor:Prange, Peter [Prange, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik
Herausgeber: S. Fischer Verlag
veröffentlicht: 2018-10-23T22:00:00+00:00


41

Charly hatte gehofft, in der Mittagspause ein paar Minuten Ruhe zu haben, bevor sie dem Chef am Nachmittag bei einer Magen-OP assistieren würde, doch als sie das Stationszimmer betrat, wo die Ärzte und Schwestern ihr Essen auf einer elektrischen Kochplatte aufwärmen konnten, hatten schon Oberarzt Dr. Winkelmann und Schwester Johanna den kleinen Raum in Beschlag genommen. Und wie immer, wenn die beiden hier saßen, hatten sie den Volksempfänger eingeschaltet, um die neuesten Nachrichten zu hören.

Aus dem Lautsprecher schnarrte die Stimme des Führers: »Meine Regierung hat weder die Absicht noch den Willen, sich in die inneren österreichischen Verhältnisse einzumischen, Deutschland wird Österreich weder annektieren noch auf sonst eine Weise dem Reich anschließen, solange das österreichische Volk das nicht will. Doch niemand wird sich dem österreichischen Volk entgegenstellen, wenn es von sich aus den Willen bekundet, heim ins Reich zu kehren.«

Während Dr. Winkelmann und Schwester Johanna Hitlers Rede mit beifälligem Nicken quittierten, nahm Charly ihren Henkelmann und stellte ihn auf den Herd. Obwohl sie den beiden den Rücken zukehrte, wusste sie, dass diese sie mit ihren Blicken verfolgten. Wie alle in der Kinderklinik wussten sie, dass Charly mit einem jüdischen Mann verheiratet war, der Name sprach schließlich Bände,, und machten keinerlei Hehl daraus, was sie darüber dachten. Dabei war Dr. Winkelmann früher mal ein ganz netter Kerl gewesen, doch je weiter er die Karriereleiter hinaufgeklettert war, desto mehr hatte er sich verändert. Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen, sein Vater war ein einfacher Arbeiter gewesen, und dass er es geschafft hatte, zum Oberarzt einer Universitätsklinik aufzusteigen, glaubte er weder seiner eigenen Tüchtigkeit noch der Einstellung durch Professor Wagenknecht zu verdanken, sondern allein der neuen Regierung, weshalb er ein glühender Bewunderer des Führers war. Obwohl er verheiratet war, war Schwester Johanna, die ihm in ihrer Hitler-Verehrung nicht nachstand, hoffnungslos in ihn verliebt. Als sie bei der letzten Weihnachtsfeier ein Glas zu viel getrunken hatte, hatte sie öffentlich erklärt, dass ein Mann mit so wertvollem Erbgut wie der Oberarzt mit mehr als nur einer Frau Kinder zeugen sollte, zum Wohle des Deutschen Reichs, und sie selbst würde keine Sekunde zögern, sich zur Verfügung zu stellen.

Auf Hitlers Rede folgte die Übertragung eines Violinkonzerts. Charly nahm den Henkelmann von der Kochplatte und setzte sich an den zweiten Tisch. Während sie ihren Eintopf aß, versuchte sie sich auf das Konzert zu konzentrieren. Doch Schwester Johanna und Dr. Winkelmann sprachen so laut, dass sie nicht zu überhören waren.

»Also, den Heinz Rühmann kann ich wirklich nur bewundern.«

»Ja, ein großartiger Schauspieler. Und immer so lustig.«

»Nein, nicht deshalb. Sondern weil er sich hat scheiden lassen. Von seiner jüdischen Frau. Das hat er dem Führer zuliebe getan.«

Obwohl Charly es nicht wollte, schaute sie über die Schulter. Als sie das böse Grinsen sah, mit dem Schwester Johanna ihren Blick erwiderte, ließ sie ihr Essen stehen und verließ den Raum. Mit lautem Knall schloss sie die Tür hinter sich. Wenn sie solche Reden hörte, war sie fast froh, dass Benny nicht länger in Deutschland blieb. In Cambridge würde er vor solchen Menschen sicher sein.

Auf dem Flur lief sie Professor Wagenknecht in die Arme.



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